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Wie Wegränder wieder zu Lebensadern werden

Was haben Feldhasen, Klimaschützer, Wildbienen, Goldammern, Waldbesitzer und Weidetiere gemeinsam? Sie alle lieben Hecken. Feldhecken am Rand von Wegen, Äckern oder Wäldern gehören zu den vielseitigsten Lebensräumen unserer Landschaft. Höchste Zeit, sie näher kennenzulernen! Wir hatten Gelegenheit dazu – auf einer Radtour mit Jörg Kraus, Bürgermeister, Bauhofleiter und erklärter Feldheckenfan.

Wer mit dem Rad in der Feldmark unterwegs ist, zumal im Hochsommer 😅, der merkt sofort, wozu üppige Hecken am Wegrand gut sind: Sie spenden Schatten! Und vor Wind schützen sie natürlich auch.

An vielen Feldwegen rund um Salzhausen blüht das Leben zu allen Jahreszeiten. Von links oben im Uhrzeigersinn: Schlehenhecke bei Oelstorf, Eichenallee bei Garlstorf, Rastende Wacholderdrosseln am Nordbach, Königskerzen und Margeriten am Nordbach. Fotos © J.Romberg

Aber das, erzählte uns Jörg (während eines Halts im Schatten), war nicht der Hauptgrund, weswegen Feldhecken vorwiegend im 18. und 19. Jahrhundert in Deutschland angelegt wurden: Sie sollten Gärten und Äcker gegen das Weidevieh abgrenzen, das damals noch relativ frei durch die Umgebung der Dörfer vagabundierte. Nebenbei lieferten Hecken zahlreiche wertvolle Ressourcen: Brennholz (Waldbäume waren für die hiesigen Kleinbauern tabu, der Forst gehörte dem Fürsten), Früchte (Hagebutten, Schlehen, Holunder- und Brombeeren) sowie Arzneimittel. Die mixten die Landbewohner (vor allem die -bewohnerinnen) früher selbst: Weißdornblättertee gegen Herz-Kreislauf-Beschwerden, Holundersaft gegen Fieber und, besonders speziell: Pfaffenhütchen-Sud gegen Kopfläuse.

Im Laufe der letzten 100+ Jahre haben sich Landnutzung und Dorfleben radikal verändert, in unseren Samtgemeinden ebenso wie im ganzen Land. Und im Zuge dieser Transformation sind auch Feldhecken weitgehend „arbeitslos“ geworden: Kühe weiden heute hinter Stacheldraht oder Elektrozaun (wenn sie nicht sowieso ganzjährig im Stall stehen), Wohnungen werden mit Öl, Gas oder (künftig hoffentlich vermehrt) mit der Wärmepumpe beheizt. Und abgesehen von ein paar sammelfreudigen Heilpflanzen-Experten besorgen wir unsere Arzneien in der Apotheke oder Drogerie.

Die traurigen Folgen dieses Kulturwandels: Seit den 1950er Jahren hat Deutschland rund 90.000 Kilometer Feldhecken verloren. Viele sind im Zuge der Flurbereinigung zerstört worden – etwa, wo Landwirte kleine Ackerflächen zu größeren zusammenlegten, um sie effizienter bearbeiten zu können. Aber auch dort, wo sie nicht gezielt gerodet wurden, sind Hecken vielerorts verschwunden – durch Vernachlässigung.

Jörg Kraus beobachtet die Landschaft rund um Salzhausen (und ihr lebendes Inventar) schon seit vielen Jahren. Und hat so mitverfolgt, was mit Feldhecken passiert, die nicht regelmäßig beschnitten werden: Über kurz oder lang wachsen Eichen, Pappeln oder Weiden über die Sträucher hinaus; diese verkümmern zusehends im Schatten des dichten Laubs. Übrig bleiben am Ende Baumreihen, hübsch anzusehen, aber ökologisch längst nicht so wertvoll wie die kompakten Wälle aus Schlehen, Weißdorn, Wildrosen, Schneeball und anderen heimischen Straucharten.

Hase mit gespitzten Ohren, von der Seite gesehen, zwischen Grashalmen und Kräutern
Feldhase mümmelt am Kräutersaum einer Hecke © Marc Scharping/NABU

Mit den Hecken sind in den vergangenen Jahrzehnten auch viele Tiere verschwunden, die in und von ihnen leben – rund 7000 Arten sind es ingesamt: Insekten fehlt das reiche Blütenangebot, Vögel vermissen die durch Dornen geschützten Nistplätze (und die Insekten), Feldhasen die Deckung und den kräuterreichen Saum neben dem Strauchwall. Noch vor 40 Jahren hoppelten pro Quadratkilometer über 100 Hasen über die deutsche Feldmark, heute sind es im Durchschnitt nur noch 11.

 

In unseren Samtgemeinden sind zum Glück noch ein paar prächtige, vitale Feldhecken erhalten geblieben – zum Beispiel in der Nordbachniederung südlich von Salzhausen und Gödenstorf. Wenn ihr an einem Frühlingsmorgen dort unterwegs seid, könnt ihr hören und sehen, wie in ihnen und um sie herum das Leben tobt: Aus den Büschen tönen Dutzende verschiedener Vogelstimmen, um die Blüten herum summt es, und aus den Wiesen daneben sieht man immer wieder Hasenohren aufragen.

Gruppe von Radfahrern auf einem Feldweg neben einer dichtbelaubten Hecke
Hier braucht es demnächst wieder einen Schnitt: Jörg erklärt, wie man Feldhecken in Form hält © J.Romberg

Wenn das kein Grund ist, Feldhecken besser als bisher zu pflegen und wo immer möglich neu anzulegen!

Jörg Kraus versucht das seit über 20 Jahren. Als Bauhofleiter der Samtgemeinde Salzhausen ist er auch für die Pflege der kommunalen Wegraine zuständig, muss also einerseits dafür sorgen, dass Hecken nicht in die Fahrspuren hineinwuchern, kann aber zugleich auch durch gezielte Eingriffe ihren Erhalt sichern. Das kostet einigen Aufwand: Feldhecken brauchen mindestens einmal pro Jahr einen Rückschnitt oder, alle fünf bis sieben Jahre, eine „kleine Naturkatastrophe“, wie Jörg es nennt: eine Komplettrodung bis auf einen Rest von einem halben Meter Höhe.

 

Damit eine „auf den Stock gesetzte“ Hecke wieder austreibt, braucht sie jedoch Licht. Weshalb Jörg und seine Mitarbeiter, zusätzlich zur Schnittarbeit, hin und wieder zu ausladende Straßenbäume fällen müssen. Eine heikle Aufgabe, denn Baumfällungen lösen regelmäßig Protest von Anwohnern aus, in Form von Anzeigen bei der Umweltbehörde oder sogar Protestzetteln am „Tatort“. Bäume stehen in den Augen vieler für Natur schlechthin; Hecken dagegen haben (noch) keine so große Fangemeinde – vielleicht weil sich viele bei ihrem Anblick an den mühsamen Kampf gegen Brombeeren, Wildrosen und andere Dornensträucher im eigenen Garten erinnert fühlen.

Sieht rabiat aus, muss aber sein: Großflächiger Rückschnitt im Winter. Schon im Folgejahr ist die Hecke wieder kräftig nachgewachsen. An dem Feldweg im Nordbachtal singen regelmäßig Gelbspötter und Dorngrasmücken. © J.Romberg

Dass Heckengehölze so wehrhaft sind, hat übrigens seinen Grund: Die Stacheln schützten sie einst davor, von den großen Weidetieren gefressen zu werden, die vor zehntausenden Jahren unsere Landschaft bevölkerten. Mammuts, Waldelefanten, Wisente, Auerochsen, Wollnashörner… ja, alle diese Tiere gab es mal in Europa, und zahlreiche unserer heimischen Pflanzenarten „erzählen“ noch heute davon.

Aber darüber schreibe ich ein anderes Mal.

 

Eine erfreuliche Nachricht aus jüngerer Zeit: Feldhecken könnten schon in naher Zukunft einen Wachstumsschub erleben. Die letzte Bundesregierung hat 100 Millionen Euro aus dem „Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz“ für die Neuanlage von Feldhecken bereitgestellt. Initiativen wie die Baumland-Kampagne und die Heckenretter setzen sich ebenfalls für Erhalt und Verbreitung der blühenden Landschafts-Lebensadern ein, und in Niedersachsen hat sich die Bingo-Umweltstiftung anlässlich ihres 35jährigen Jubiläums zum Ziel gesetzt, 100 Kilometer neue Hecken anzulegen sowie interessierte Landwirte und kommunale Angestellte in Heckenpflege zu schulen. In unserer Region hat sie damit bereits begonnen – in Zusammenarbeit mit dem Verein Naturpark Lüneburger Heide.

 

Wir vom NABU werden unseren Teil dazu beitragen, dass Hecken mehr Aufmerksamkeit bekommen. Nächstes Jahr planen wir wieder eine Erkundungstour mit Jörg, diesmal zur besten Heckenblütezeit im Frühling. Bis dahin: Genießt den Sommer, tretet in die Pedale  – und haltet dabei immer nach Vögeln und Feldhasen Ausschau.  

Text: Johanna Romberg

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