Wie kann man Natur nahekommen, sie möglichst intensiv erleben – ohne ihr dabei zu sehr auf die Pelle zu rücken? Die Frage ist jetzt, im beginnenden Frühling, besonders aktuell, und sie ist nicht so leicht zu beantworten. Denn die meisten Wildtiere halten ja deutlichen Abstand zu uns und reagieren gerade zur Brut- und Setzzeit empfindlich auf Störungen; viele spannende Pflanzen sprießen an eher unzugänglichen Stellen.
Einfach querfeldein zu laufen oder abseits der Wege ein „Waldbad“ zu nehmen ist für verantwortungsvolle Naturbeobachter in der Regel keine Option.
Es gibt aber ein paar Tricks, wie man die Distanz zur Natur überwinden kann, ohne sie zu bedrängen oder gar zu schädigen.
Mein Lieblingstrick ist so simpel, dass die Bezeichnung „Trick“ dafür eigentlich übertrieben ist. Er lautet: Stillstehen oder -sitzen, Klappe halten – und genau gucken und horchen, was in der Umgebung so los ist.
Ich staune immer wieder, wie gut das funktioniert. Und hadere ein bisschen, dass ich diese Form des Naturbeobachtens nicht schon viel früher und öfter praktiziert habe. Denn lange Zeit gehörte ich zu denen, die draußen am liebsten in Bewegung bleiben, zu Fuß oder auf dem Rad – man will ja in begrenzter Zeit möglichst viel zu sehen bekommen.
Wie viel mehr man durch Stillhalten erleben kann, habe ich zum ersten Mal mit einer Gruppe Lüneburger Vogelkundler erlebt. Wir waren gegen 2 Uhr morgens zum „Birdrace“ aufgebrochen, einem jährlichen Event, bei dem Beobachter-Teams aus ganz Deutschland an einem Tag im Mai versuchen, innerhalb von 24 Stunden so viele Vogelarten wie möglich aufzuspüren.
Unser „Rennen“ begann mit einem gut einstündigen, in striktem Schweigen verbrachten Stillstand im Wald.
Die erste Stimme, die wir noch im Stockdunklen vernahmen, war das zarte Pfeifen eines Sperlingskauzes, der kleinsten unsere heimischen Eulen. Mit deutlichem Abstand, schon in der Morgendämmerung, folgte ein Rotkehlchen, dem sofort drei, vier weitere antworteten; dann stimmten nacheinander Singdrosseln, Meisen, Zaunkönige, Wald- und Gartenbaumläufer ein. Noch nie zuvor hatte ich den morgendlichen Vogelchor so bewusst, so vollständig wahrgenommen.
Seit diesem Lauscherlebnis vor gut acht Jahren lege ich auf meinen Exkursionen regelmäßig längere Schweigepausen ein. Und mache dabei fast immer irgendeine Entdeckung – eine ungewöhnliche Vogelstimme, eine Tierspur, eine spezielle Pflanze oder ein Mosaik verschiedener Moosarten auf einem Baumstumpf.
Oft kommt mir die Natur sogar entgegen, buchstäblich: Die meisten Tiere nehmen uns Menschen vor allem durch Bewegungen und Geräusche wahr; bleiben wir länger stumm und reglos, „vergessen“ sie unsere Anwesenheit.
So kann es passieren, dass man nach einigen stillen Minuten plötzlich einen Vogelschwarm direkt über sich turnen sieht, ein Hase seelenruhig vorbeihoppelt oder ein Specht den Baum bearbeitet, an den man sich gerade gelehnt hat.
Kommentar schreiben