Es gibt diese Tage, an denen die Welt schon beim Aufwachen dunkelgrau aussieht, obwohl draußen strahlend blauer Himmel ist. An solchen Tagen setze ich mich wenn möglich gleich morgens aufs Rad und fahre, wohin es mich spontan zieht.
Neulich zog es mich in die Nordbachniederung bei Salzhausen, und dort erlebte ich wieder mal, dass vielstimmiger Vogelgesang das wirksamste Antidepressivum ist, das man rezeptfrei und gratis haben kann.
Das Nordbachtal ist eine der schönsten wilden Ecken unserer Samtgemeinde, vor allem der westliche Teil, der (warum auch immer) nicht zum angrenzenden FFH-Gebiet Luhe/Untere Neetze gehört.
Feuchte, struppige Wiesen, auf die sich kaum je eine Landmaschine verirrt, Röhrichtinseln und viel Weidengebüsch. Ein 1A-Lebensraum für Vögel, vor allem diejenigen Arten, die in der Normallandschaft rar geworden sind – weil sie das Pech haben, auf (ebenfalls knapp gewordene) Insektennahrung angewiesen zu sein.
An diesem Morgen war es, als hätten sich alle Vogel-Raritäten unserer Gemeinde zu einem Gesangsfestival verabredet. Auf knapp 100 Metern Wegstrecke hörte ich: zwei Gelbspötter (singen so, wie sie heißen), einen Sumpfrohrsänger (kreativster Spötter und Stimmenimitator überhaupt) mindestens 5 Dorngrasmücken (charakteristisch kratzig), eine Nachtigall (nur kurz, aber unverkennbar), einen Pirol (hach!😍) zwei Kuckucke (sah sie sogar fliegen) sowie diverse häufigere Arten wie Goldammer, Singdrossel und Amsel.
Und auf einmal, inmitten dieses Chors: eine dieser Stimmen, die Vogelfans wie mich sofort den Atem anhalten lässt. Ein hohes, gleichförmiges Sirren, wie von einer Zikade im Hochsommer.
Ich hatte diese Stimme zuletzt vor gut 15 Jahren gehört, an genau dieser Stelle. Sie gehörte einem Feldschwirl; auch er eine früher häufige Art auf feuchten, naturnahen Wiesen. Weil es die in der intensiv bewirtschafteten Agrarlandschaft kaum noch gibt, ist der Feldschwirl binnen weniger Jahrzehnte in die Kategorie 2 der Roten Listen auf- oder besser abgestiegen: „stark gefährdet“. Darunter gibt’s nur noch „ausgestorben“ oder „kurz davor“.
Dass sich dieser Vogel nach so langer Zeit wieder am Nordbach hören lässt, ist ein wunderbares Zeichen für die Lebendigkeit dieser Flusslandschaft. Und ein Geschenk für Naturliebhaberinnen wie mich; eines dieser Beobachtungserlebnisse, die noch lange nachwirken.
Der Himmel über Salzhausen kommt mir seitdem jedenfalls blauer vor als je zuvor.
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