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Natur an Menschen: Mehr Ruhe bitte!

Wir Deutschen müssen wieder mehr und länger arbeiten – sagt unser Bundeskanzler, mahnen Experten in den abendlichen Fernseh-Talkrunden. Ob „wir“ (wer immer das sei) die Wirtschaft durch Mehrarbeit wieder flottkriegen, sei mal dahingestellt. Aus Sicht des Naturschutzes würde ich auf jeden Fall eher für das Gegenteil plädieren, nämlich: Mehr Nichtstun! Vor allem jetzt im Herbst.

Wer von Euch auch einen Garten hat, weiß: Der Herbst ist neben dem Frühling die Jahreszeit, in der es einem am meisten in den Fingern juckt. Endlich wieder Ordnung schaffen in den Beeten, zumindest für ein paar Monate, bis alles wieder sprießt und wuchert! Laub zusammenharken, Blumenzwiebeln verbuddeln, Verblühtes abschneiden, ein letztes Mal Un-, sorry, Beikräuter jäten. Und seit dem 1.10. auch endlich wieder: Sträucher und Bäume auslichten und zurechtstutzen.

Von Raureif überzogenes radförmiges Spinnennetz, aufgehängt an verblühten Astern
Über stehen gelassene Pflanzenstengel freuen sich im Herbst und Winter, unter anderem, die Spinnen. © Marek Mierzejewski/NABU

In meiner Umgebung ist das Ausmaß herbstlichen Tatendrangs sogar in Dezibel messbar. Es kreischen die Motorsägen, es rattern die Schredder, es wischen die Besen, und bald, so fürchte ich, wird auch im Garten nebenan wieder der Laubbläser losröhren.

 

Ich dagegen halte meine Hände weitgehend still – und höre auf meine Gartenbewohner: Insekten, Vögel und auch Pflanzen. Natürlich äußern die sich nicht direkt, aber ich beobachte sie mittlerweile lange genug, um zu wissen, was sie sich wünschen: nämlich vor allem, in Ruhe gelassen zu werden. Käfer, Wanzen, Spinnen und andere Kleintiere schätzen einen dichten Laubteppich, in dem sie sich verkriechen können, Falter-Puppen überwintern mit Vorliebe an stehengelassenen Pflanzenstengeln, Vögel sammeln gern die Beeren von nicht beschnittenen Sträuchern – und natürlich auch das Kleingetier unter dem Laubteppich. Alles, was vier Beine hat – Igel, Mäuse, Amphibien – schätzt unaufgeräumte Ecken, in denen bis zum Frühjahr keine Harke das Unterste zuoberst kehrt.

Laubhaufen und Holzstapel sind beliebte Winterquartiere für Igel, Mäuse und zahlreiche Kleintiere. Also bitte nicht wegharken oder schreddern, sondern liegen lassen – wenigstens bis zum nächsten Frühjahr. © Eric Neuling, NABU

Ich gebe zu, dass ich in diesem Herbst nicht mal die Vogelkästen reinigen werde; im Wald räumt schließlich auch niemand die Baumhöhlen auf. Womöglich sind jetzt, Mitte Oktober, auch schon „Zwischenmieter“ eingezogen, wie Mäuse oder Siebenschläfer, die ebenfalls Ruhe verdienen.

 

Da ich selbst eine eher faule Gärtnerin bin, fällt mir das Nichtstun leicht. Und falls der ein oder andere Nachbar meinen Garten ungepflegt finden sollte, so stört mich das nicht.

Ich weiß aber auch, dass nicht alle das so locker sehen können. Am wenigsten diejenigen, die für öffentliches Grün zuständig sind.

Aus Gesprächen mit Mitarbeitern unserer Gemeindeverwaltung weiß ich, dass es vor allem jetzt im Herbst immer mal wieder Beschwerden über nicht „ordnungsgemäß“ gepflegte Grünflächen gibt. Es scheint bei vielen Bürgern immer noch unausgesprochener Konsens zu sein, dass Grünes im Herbst entweder rabiat gestutzt oder teppichkurz abgemäht gehört (zu anderen Jahreszeiten am liebsten auch).

Ich rechne es der Salzhäuser Gemeindeverwaltung, vor allem Mitarbeitern des für Grünpflege zuständigen Bauhofs, hoch an, dass sie gerade jetzt im Herbst eher nach dem Prinzip „mehr Nichtstun“ verfahren. Also an Straßenrändern, aber auch auf größeren Flächen Welkes und Abgeblühtes stehen lassen und Laub nur dort entfernen, wo es den Verkehr – auch den zu Fuß und Rad – behindert.

Ein Goldammerpaar sucht zwischen Altgras und spätherbstlich bereiftem Laub nach Insekten. © J. Romberg

Wenn ich in diesen Tagen durchs Dorf gehe oder über Land radle, dann kann ich links und rechts des Weges ein feines, dankbares Wispern, Zirpen und Zwitschern hören.

Nein, Quatsch – natürlich höre ich nichts, jedenfalls nicht „in echt“. Aber ich stelle mir oft vor, wie es klänge, wenn die Natur tatsächlich zu uns sprechen könnte, in einer Sprache, die wir verstehen. Wie es wäre, wenn wir glasklar hören, sehen, begreifen könnten, was wir der lebenden Vielfalt tagtäglich antun. Und was wir stattdessen tun, oder besser noch lassen können, damit sie sich zumindest zeitweise ein bisschen von uns erholen kann.

 

Da Grillen, Käfer, Schmetterlingsraupen, Vögel und all die anderen aber nicht direkt zu uns reden können, brauchen sie Fürsprecher. Leute wie uns. Hier ein konkreter Vorschlag, wie Ihr für sie eintreten könnt, passend zur Jahreszeit und zum Thema dieser Kolumne: Wenn die Zuständigen Eurer Gemeinde, oder auch Eure Nachbarn, zu denen gehören, die dem herbstlichen Ordnungswahn widerstehen und schonend mit der Natur umgehen – sagt ihnen doch bei Gelegenheit, dass Ihr das gut findet. Nicht mehr, nicht weniger. Ich bin sicher: So ein bisschen Anerkennung wiegt mehr als ein Bündel Beschwerden über ungemähte Wiesen oder liegengelassenes Laub.

Die Natur wird es Euch danken, in welcher Sprache auch immer.

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