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Blühwiese mit Superkraft

Wenn man sein halbes Leben lang Natur beobachtet – Vögel guckt, Pflanzen bestimmt, Insekten in den Garten lockt – dann hat man irgendwann das Gefühl, so halbwegs vertraut mit der lebenden Vielfalt zu sein. Mir zumindest geht das so. Aber dieses Gefühl kann täuschen. Das habe ich kürzlich wieder gemerkt, als ich auf eine Meldung zum Thema Wiesenpflanzen stieß. Diese haben, so erfuhr ich, eine Superkraft, die selbst diejenigen verblüfft, die sie seit vielen Jahren erforschen.

 

Begriffe wie „Superkräfte“ verwenden Forscher natürlich nicht – sie sprechen vielmehr von „Ökosystemleistungen“. Dieser sperrige Fachbegriff bezeichnet all die Dienste der Natur, die wir selbstverständlich und gratis in Anspruch nehmen: Pflanzenbestäubung etwa (durch Insekten), Nahrungsproduktion (Boden), Wasserspeicherung und Hochwasserschutz (Moore). Wenn Wissenschaftler versuchen, den Wert dieser Dienste in Euro und Cent zu bemessen, kommen sie stets auf Milliardensummen – der Begriff „Superkräfte“ ist also durchaus angemessen.

 

Wie lebenswichtig die natürliche Vielfalt der Arten und Lebensräume für uns ist, gerade in Zeiten der Klimakrise, wird immer noch unterschätzt; auch die Wissenschaft hat viele Leistungen erst in jüngster Zeit entdeckt – so etwa die globale Bedeutung der Moore als CO2-Speicher. 

Zu den besonders verkannten Ökosystemen gehören artenreiche Wiesen. Dass sie schön anzusehen und eine wichtige Nahrungsquelle für Insekten sind, hat nicht verhindert, dass sie aus unserer Landschaft weitgehend verschwunden sind – die meisten Landwirte ziehen sogenanntes Intensivgrünland vor, auf dem nur wenige für Nutztiere besonders nahrhafte Grasarten gedeihen.

Aber womöglich erleben Blühwiesen bald ein Comeback.

 

Zartrosa, blassblaue und gelbe Blüten zwischen Gräsern
Feuchtwiese mit Kuckuckslichtnelken und Glockenblumen © Marcus Bosch/NABU

 

 

Eine Forschergruppe am Deutschen Zentrum für Integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) hat herausgefunden, dass eine artenreiche Pflanzendecke den Boden darunter effektiver vor starken Temperaturschwankungen schützt als monotones Einheitsgrün. Die Erde unter den Wurzeln erhitzt sich an heißen Sommertagen nur halb so stark und bleibt im Winter um ein Mehrfaches wärmer. So trocknet sie nicht nur weniger aus, sondern emittiert auch weniger Treibhausgase – die entstehen vor allem durch Zersetzung der Humusschicht. 

 

Die iDiv-Studie beruht auf Daten, die am Jena Experiment gesammelt wurden, einem einzigartigen Freiland-Laboratorium, in dem seit 2004 insgesamt 80 verschiedene Wiesen-Parzellen mit unterschiedlicher Pflanzenvielfalt dauerhaft beobachtet und analysiert werden. Man hat dort zum Beispiel auch herausgefunden, dass artenreiche Wiesen auf Dauer mehr Ertrag liefern, an Masse wie an Qualität. Und dass sie sich nach Extremwetterereignissen wie Überflutungen schneller regenerieren als Monokulturen oder nackte Erde.

 

Ich wünschte, diese Erkenntnisse würden sich wie ein Lauffeuer herumsprechen – unter Landwirten, die immer häufiger über Dürre und Hochwasserschäden klagen, und unter Gartenbesitzern, die im Sommer Hektoliter kostbaren Trinkwassers versprühen, damit der Golfrasen vorm Haus nicht die Farbe wechselt.

 

Die Superkräfte der Biodiversität könnten nicht nur Natur-Nutzern viel Geld und Stress ersparen, sie könnten auch helfen, Allgemeingüter wie Grundwasser und Böden effektiver als bisher zu schützen. Und sie kämen, nicht zu vergessen, letztlich auch Naturbeobachterinnen wie mir zugute.

Ich würde zu gerne wieder mehr über blühende Wiesen in der Landschaft staunen können.